Achtzehn Jahre ist es jetzt her, dass der damals viertklassige SV Sandhausen den in der Bundesliga spielenden und sehr erfolgreichen VfB Stuttgart mit 15:14 nach Elfmeterschießen aus dem DFB-Pokal fegte. Im Vorfeld des diesjährigen Pokalspiels gegen den 1. FC Nürnberg hatte der Verein ein kleines Video der Sensation von 1995 zusammengestellt, der Glaube an eine erneute Pokalsensation war am Hardtwald schon vor der Partie überall deutlich zu spüren. Und tatsächlich sollte es wieder ein denkwürdiger Pokalabend werden. Wieder gab es ein Elfmeterschießen, wieder war der Tatort das Sandhäuser Hardtwaldstadion und wieder ging der SV Sandhausen als überraschender Sieger vom Platz - der neunmalige Deutsche Meister und viermalige DFB-Pokalsieger Nürnberg wurde mit 5:4 n. E. wieder nach Hause geschickt. Am Hardtwald gab es kein Halten mehr.
Ein Name kam besonders oft in den Sprechchören der Sandhäuser Fans vor: Manuel Riemann. Der Neuzugang vom VfL Osnabrück und die neue Nummer 1 des SV Sandhausen avancierte, wie schon 2007 gegen Bayern München, an diesem Abend zum Pokalhelden, denn er hielt zwei Elfmeter in überragender Manier und war auch bei den anderen drei immer in der richtigen Ecke.
Doch es gab zuvor auch ein Spiel, in dem die Spieler des SV Sandhausen aufopferungsvoll kämpften und sich den Sieg redlich verdienten:
Bei der Bekanntgabe der Aufstellungen gab es gleich mehrere Ausrufezeichen: Jovanovic spielte für Kapitän Frank Löning, Riemann für Knaller, Thiede für Adler. Kulovits sollte die Kapitänsbinde tragen. Alle drei Änderungen sollten später das Vertrauen des Trainers mehr als zurückzahlen.
Schon mit dem Anfangspfiff des Schiedsrichters war klar: Die Sandhäuser rechneten sich an diesem Sonntagabend etwas aus. Nach fünf Minuten war der SV Sandhausen schon zweimal durch Thiede und einmal durch Jovanovic zum Abschluss gekommen. Es zeigte sich schon in dieser Anfangsphase, dass sich die Hereinnahmen bezahlbar machten. Nach dem mit einem Punkt aus zwei Spielen eher mäßigen Zweitligaauftakt kam im Vereinsumfeld Kritik auf, Trainer Alois Schwartz würde zu defensiv spielen lassen. Die Antwort des Trainers war wohl die Einsatzchance für Thiede, der mächtig Dampf auf der Zehn machte und sich auch für kein Kopfballduell, trotz seiner geringen Körpergröße zu schade war.
Nachdem der SVS in der Anfangsviertelstunde das tonangebende Team war, nahm der 1. FC Nürnberg das schnelle Anfangstempo danach raus und übernahm so langsam die Kontrolle über das Spiel. Doch die Sandhäuser hielten zumindest kämpferisch dagegen. Überhaupt war es ein sehr kampfbetontes Spiel. Beide Mannschaften gingen mit 100 Prozent in die Zweikämpfe, was insgesamt zu neun Gelben Karten (vier Sandhausen, fünf Nürnberg) führte.
Nach etwa 20 Minuten verstärkte Nürnberg dann den Druck auf das Sandhäuser Tor. Zwar waren die Torabschlüsse nicht wirklich zwingend, allerdings kamen die Sandhäuser nicht einmal mehr aus ihrer eigenen Spielhälfte heraus. In der 27. Minute war es dann soweit.
Mak hebelte mit seinem Pass durch die Schnittstelle einmal die komplette Sandhäuser Abwehr aus und Ginczek bedankte sich bei Mak, indem er durch Riemanns Beine ins Tor der Hausherren einschob.
Sandhausen wirkte in der Folge zwar bemüht, den Ausgleich zu erzielen, es fehlte aber die nötige Durchschlagskraft. Die Partie verflachte zunehmend. Vor allem die Sandhäuser Flanken in den Strafraum waren zu ungenau und fanden keinen Abnehmer. Erst kurz vor dem Halbzeitpfiff sorgte Achenbach eher unfreiwillig für den Weckruf. Der von ihm aus dem rechten Halbfeld ausgeführte Freistoß landete nicht wie geplant bei seinen Mitspielern, sondern beinahe im Tor, doch Club-Torwart Raphael Schäfer war zur Stelle.
Alois Schwartz‘ Halbzeitansprache hatte wohl Wirkung gezeigt. Die Sandhäuser spielten wie schon zu Beginn der Partie mutig nach vorne, sie wollten den Ausgleich. So kamen die Hausherren wieder durch Thiede und Jovanovic zu guten Chancen. Doch diesmal wurde die Drangphase der Sandhäuser auch belohnt. Bei einem Sandhäuser Freistoß in der 58. Minute umklammerte Chandler Marvin Knoll und brachte ihn im Strafraum zu Fall. Schiedsrichter Norbert Grudzinski zeigte auf den Punkt und Julian Schauerte verwandelte souverän zum 1:1-Ausgleich.
Die Stimmung am Hardtwald kochte jetzt hoch. Das Sandhäuser Publikum glaubte jetzt an die Pokalsensation und feuerte seine Mannschaft frenetisch an, die angereisten Nürnberger machten ihrem Frust Luft, indem sie eine kleine Pyroshow veranstalteten.
Sandhausen war nach dem Ausgleich das bessere Team und wollte den Sieg gegen den großen FC Nürnberg in der regulären Spielzeit schaffen, allein am Torabschluss scheiterte es. Von den Nürnbergern kam nicht mehr viel, sodass es nach 90 Minuten hieß: Verlängerung in Sandhausen!
In der ersten Hälfte der Verlängerung war es auf einmal wieder Nürnberg, das den Ton angab und so zu hochkarätigen Chancen durch Drmic und Frantz kam. Sandhausen war weiter sehr engagiert, bemüht und auch physisch noch auf dem Damm, konnte sich jedoch keine nennenswerten Chancen herausspielen.
In der zweiten Hälfte der Verlängerung hatten die Sandhäuser wieder spielerisches Übergewicht, da diese aber nicht in der Lage waren, ihre Konter zu Ende zu spielen, fand die Partie auch nach 120 Minuten keinen Sieger, gleichbedeutend mit einem Elfmeterschießen.
Alle Augen waren jetzt auf Riemann gerichtet und aus dem Sandhäuser Fanblock schallten Anfeuerungssprechchöre.
„Ich habe keinen Zettel gehabt, sondern mich einfach auf mein Gefühl verlassen,“ schilderte Riemann nach dem Spiel seine Elfmeterschießen-Taktik. Auf sein Gefühl sollte Riemann im Leben wohl öfter hören, denn er hielt die eigentlich nicht schwach geschossenen Elfmeter von Balitsch und Plattenhardt und behauptete später sogar: „Ich hätte eigentlich alle vier halten können, ich war immer in der richtigen Ecke.“
Trainer Alois Schwartz wirkte überglücklich über diesen unverhofften Sieg: „In den ersten beiden Ligaspielen haben wir viel gesät, aber nichts geerntet. Jetzt haben wir uns belohnt.“ Das Manko des Torabschlusses bleibt aber trotz des Sieges weiter bestehen, davor verschließt auch Schwartz nicht die Augen. Seine Mannschaft müsse vor dem Tor noch „cleverer und kaltschnäuziger“ werden, er sei aber „zuversichtlich“ und man wolle „den Schwung mitnehmen,“ in den Ligaalltag. Dort empfängt der SVS am nächsten Sonntag Energie Cottbus. Zwei Matchwinner werden dann wahrscheinlich wieder in der Startelf stehen: Manuel Riemann und Marco Thiede. Der junge Neuzugang aus Augsburg bekam viel Lob von Schwartz: „Thiede hat gut gearbeitet und sich auch heute stetig gesteigert. Er wurde immer frecher.“
Alles in allem kann man von einem doppelten Déjà-vu an diesem Abend sprechen: Der SV Sandhausen schreibt wie vor achtzehn Jahren Geschichte, indem er als Underdog einen Erstligisten im Elfmeterschießen aus dem Pokal wirft und Manuel Riemann hält, wie schon 2007 gegen Bayern München, zwei Elfmeter. Damals verwandelte Riemann sogar selbst einen - gegen Oliver Kahn. Auf die Frage, wer der fünfte Schütze gewesen wäre, antwortete Schwartz: „Riemann.“ Zu dieser Wiederholung kam es dann aber nicht.
Sandhausen: Riemann - Schauerte, Kister, Schulz, Achenbach - Zimmermann, Kulovits (7. Linsmayer) - Klotz, Thiede, Knoll (70. Löning) - Jovanovic (79. Blum).
Nürnberg: Schäfer - Chandler, Nilsson, Pogatetz, Pinola (113. Plattenhardt) - Balitsch - Kiyotake, Gehart (68. Frantz), Feulner, Mak (88. Drmic) - Ginczek.
Schiedsrichter: Grudzinski (Hamburg)
Zuschauer: 7300
Tore: 0:1 Ginczek (27.), 1:1 Schauerte (58., Foulelfmeter).
Elfmeterschießen: 1:2 Kiyotake, 2:2 Schauerte, Riemann hält gegen Balitsch, 3:2 Löning, 3:3 Ginczek, 4:3 Achenbach, 4:4 Nilsson, 5:4 Blum, Riemann hält gegen Plattenhardt.
Zuschauer: 7300
Tore: 0:1 Ginczek (27.), 1:1 Schauerte (58., Foulelfmeter).
Elfmeterschießen: 1:2 Kiyotake, 2:2 Schauerte, Riemann hält gegen Balitsch, 3:2 Löning, 3:3 Ginczek, 4:3 Achenbach, 4:4 Nilsson, 5:4 Blum, Riemann hält gegen Plattenhardt.
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